Sonntag, 5. Juni 2016

Gastrezension von jenvo82 zu Mr Gwyn von Alessandro Baricco





Preis: € 22,00 [D]
Einband: Hardcover
Seitenanzahl: 320
Altersempfehlung: -
Verlag:  Hoffmann und Campe
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„Eines Tages habe ich erkannt, dass mir nichts mehr wichtig war und dass mich alles tödlich beleidigte.“
Inhalt
Jasper Gwyn, ein recht bekannter Autor, befindet sich an einem Wendepunkt seines Lebens und beschließt fortan kein Schriftsteller mehr zu sein. Ganz zum Ärgernis seines Agenten, zieht er sich vollkommen aus der Welt der Literatur zurück, um ein äußerst ungewöhnliches Projekt zu starten. In nächster Zeit wird er sich ein Atelier einrichten und dort in ansprechendem Ambiente Portraits anfertigen. Doch seine Modelle werden nicht gemalt, sondern beschrieben, denn Jasper kann sich trotz anfänglichem Widerwillen der Schönheit der Worte und dem Schreiben an sich nicht entziehen. Sein erstes Modell ist eine oberflächliche Bekanntschaft aus seiner bisherigen Agentur und die Aktstudie gelingt beiderseits zur vollsten Zufriedenheit. So scheint es fast, das Mr. Gwyn eine neue, sinnbringende Berufung gefunden hat, indem er andere Menschen mittels Sprache studiert. Doch bei seinem 11. Portrait begeht er einen folgeschweren Fehler, der Jasper zwingt seine Arbeit aufzugeben und fortan in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. 
Meinung
Alessandro Baricco besticht in diesem äußerst ungewöhnlichen, kreativen Roman mit einer bezaubernden, humorvollen und gleichsam tragenden Sprache und einer fiktiven, spannenden Geschichte. Geprägt von Stille und Intensität entwickelt der Leser ein Gespür für die Handlung und den eher verschrobenen, kauzigen Charakter des Hauptprotagonisten. Auf geheimnisvolle Art und Weise wird man in den Strudel der Ereignisse hineingezogen und möchte ähnlich wie der enttäuschte, ehemalige Agent des Schriftstellers wissen, was Jasper Gwyn denn nun tatsächlich in seinen geschriebenen Portraits festhält. Die Kraft der Literatur treibt die Handlung vorwärts und steuert systematisch auf einen Höhepunkt zu. Doch bevor man diesen erreicht, fällt das Kartenhaus in sich zusammen und hinterlässt einen leicht bitteren Nachgeschmack. Denn Mr. Gwyn verschwindet auf unerhörte Art und Weise aus dem Roman und nur sein erstes Modell entdeckt eine Möglichkeit, ihm auf die Spur zu kommen.
So greift der Autor in einer zweiten, kleineren Erzählung mit dem Namen „Dreimal im Morgengrauen“ eine weitere, recht unlogische Kurzgeschichtensammlung auf und nutzt dieses Stilelement, um dem Leser eine Antwort darauf zu geben, was denn nun wirklich geschah und wer sich hinter dem Namen Jasper Gwyn tatsächlich verbirgt. Doch dieses Selbstportrait des gefeierten Autors lässt mich unbefriedigt zurück und erzeugt bei mir die Wirkung, dass ich weder den Protagonisten noch die Aussage des Buches so recht verstanden haben.
Fazit
Ich vergebe 4 Sterne für diesen ungewöhnlich, künstlerischen Roman der mit zahlreichen Stilelementen und treffenden Worten jongliert, der weise Sätze aufstellt und den Leser zum Schmunzeln bringt. Eine harmonische Ausgewogenheit durchzieht die gesamte Erzählung und Begriffe wie Identität, Selbstzweck und Lebensaufgabe bekommen einen glänzenden, bedeutenden Schein. Doch das Resümee, welches ich ziehe entzieht sich einer tatsächlichen Grundlage und bleibt sehr undeutlich, fast schwammig. Ich persönlich mag es gerne etwas realistischer und weniger abstrakt.

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