Mittwoch, 31. Mai 2017

Gastrezension von jenvo82 zu Was ich euch nicht erzählte von Celeste Ng




Preis: € 19,90 [D]
Einband:  Hardcover
Seitenanzahl: 304
Altersempfehlung: -
Verlag: dtv
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„Man liebte so sehr und erhoffte so viel, und am Ende hatte man nichts. Kinder, die einen nicht länger brauchten. Einen Mann, der einen nicht mehr wollte. Nichts, nur man selbst und leeren Raum.“
Inhalt
Für Familie Lee bricht mit dem ominösen Tod ihrer Tochter Lydia alles auseinander. Ihre einst so heile Welt, gerät in bedrohliche Schieflage, umso mehr, als sie begreifen müssen, dass ihr geliebtes Kind nicht etwa Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit den Freitod gewählt hat. Lydia, war gerade einmal 16 Jahre alt und hatte noch ein verheißungsvolles Leben vor sich, stand kurz vor ihrem Schulabschluss und hätte auch bald die Fahrerlaubnis machen können. Marilyn und James, ihre Eltern versuchen zu rekonstruieren, was in ihrem Kind vor sich ging und müssen mit Erschrecken feststellen, dass sie sie überhaupt nicht kannten, dass Lydia weder Freunde hatte noch ein erfülltes Leben, obwohl sie seit Jahren all ihr elterliches Bemühen in dieses Mädchen gesteckt haben und darüber hinaus ihre beiden anderen Kinder immer mehr aus den Augen verloren haben …
Meinung
Dieser beklemmende Familienroman, der detailliert und perspektivenreich vom Verlust eines Kindes erzählt und dennoch so viel mehr ist als nur eine Erzählung über Liebe, Erziehung und Versäumnisse.
Gerade die abwechslungsreichen Handlungsschwerpunkte haben mich außerordentlich fasziniert, denn die junge Autorin Celeste Ng, setzt zahlreiche Akzente in ihrem Debütroman und verbindet eine menschliche Tragödie mit ebenso menschlichen Verhaltensweisen und absolut realistischen Einsichten. Es ist nicht nur ein Schrei nach Hilfe, der nicht gehört wird, es ist auch eine Auflehnung gegen die elterlichen Wünsche in jeder Generation und gleichermaßen eine Studie über die Entstehung von Liebe, den Verlust derselbigen und der bitteren Gewissheit, für jede Entscheidung, die man trifft eigenverantwortlich zu sein.
Die Erzählperspektive wechselt und alle Familienmitglieder sind mehr oder weniger Hauptprotagonisten, da immer ein anderer im Zentrum des jeweiligen Kapitels steht. Dadurch bekommt der Leser in gewisser Weise den Rund-um-Blick über die Familie Lee, über ihre Wünsche, Träume und Verfehlungen.
Während sich der Vater James, als Einwanderer mit chinesischen Wurzeln stets nur wünschte, ein Teil der Gemeinschaft zu sein und uneingeschränkt anerkannt zu werden, träumte die Mutter Marilyn den Traum einer Arztkarriere, die ihr als Frau mit drei Kindern verwehrt blieb. Lydia, die Tochter, die nie sie selbst sein durfte, weil alle Hoffnungen auf ihren Schultern lagen, sieht für ihr eigenes Selbst keine Zukunft, weil sie denkt, die elterliche Liebe beruht auf ihrem schulischen und außerschulischen Erfolg, den sie weder realisieren kann noch erreichen möchte. Nathan, der begabte Erstgeborene, der trotz seines Engagements und seiner klaren Zielvorstellungen weit hinter den Ansprüchen seiner Eltern zurückbleibt und auch Hannah, das Nesthäkchen, die stets nur die Lücke im System sucht und möglichst nie in Erscheinung tritt, weil sie ohnehin nicht wahrgenommen wird.
Und so zeigt uns die Autorin, wie schwer es ist, dem Glück und den Menschen, die man liebt gerecht zu werden, wenn man gerade als Elternpaar versucht, die eigenen Prämissen bei den Kindern zu setzen, ohne jemals hinterfragt zu haben, was diese im Laufe ihres Lebens für wichtig und entscheidend erachten.
Dieser unausgesprochene Gedanke, nimmt mich als Leser ungemein in die Verantwortung, weil er die ganz entscheidende Frage aufwirft, wie ausgeglichen und objektiv, dass eigene Empfinden über dem der Kinder steht. Sind es wirklich Talente, die man beim Nachwuchs entdeckt oder sind es verborgene Hoffnungen, für das eigene Missverhältnis? Wann beginnt Elternliebe gefährlich zu werden und wie gehe ich mit mehreren Kindern und ihrer vorgegebenen Geschwisterkonstellation um? Fragen, die mich während des Lesens bewegten, hallen immer noch nach und sprechen für den Tiefgang der Erzählung.
Fazit
Ich vergebe 5 Lesesterne für diesen intensiven, umfassenden Familienroman, der viele psychologische Überlegungen aufwirft und zielgerichtet mit diversen Charakterschwächen und Stärken jongliert. Die Autorin klagt nicht an, sie verurteilt nicht und wahrt bei dem Thema Elternliebe eine beneidenswerte Objektivität. Dennoch konnte ich nicht umhin, mich ganz persönlich angesprochen zu fühlen und zumindest für einen kurzen Moment zu überlegen, wie wertvoll und unabdingbar ein offener Dialog zwischen den Menschen einer Familie ist und welche Folgen es haben kann, sollte er fehlen. Absolut lesenswert! 

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